Neutralität als Unternehmer: Müssen Firmen heute Haltung zeigen?

Es war ein sonniger Frühlingstag, ich war gerade auf dem Heimweg, als ein Kunde anrief. Seine Stimme klang verunsichert:

„Carsten, ich habe ein Problem. Je mehr junge Menschen wir einstellen, desto öfter fordern sie von uns Geschäftsführern, öffentlich Stellung zu beziehen: Gegen Rechts, für Gleichberechtigung und so weiter. Ich verstehe das nicht – wir leben das doch längst!“

Sein Unternehmen existiert seit über 40 Jahren. Bei ihm arbeiten Menschen aus sieben Nationen, es werden neun Sprachen gesprochen. Herkunft, Geschlecht, Religion – spielen bei ihm schlicht keine Rolle.

Und trotzdem steht er nun unter Druck, öffentlich sichtbar „Haltung zu zeigen“.

Wenn das Selbstverständliche zur Forderung wird

Was dieser Unternehmer beschreibt, höre ich immer öfter.

Insbesondere von Führungskräften im Mittelstand, die jahrzehntelang erfolgreich ein Unternehmen geführt haben – unaufgeregt, menschlich, leistungsorientiert.

Nun aber erleben sie, dass jüngere Mitarbeitende andere Erwartungen mitbringen:

 

  • Sichtbare Positionierung zu gesellschaftspolitischen Themen

  • Forderung nach „Safe Spaces“, Awareness-Workshops oder Diversity-Statements

  • Kritische Fragen zu vermeintlich „neutralem“ Verhalten

 

Die Unsicherheit ist verständlich. Denn in den sozialen Medien wird häufig suggeriert:

„Wer nichts sagt, macht sich schuldig.“

Aber stimmt das?

Vielfalt sichtbar leben – ohne sie zu inszenieren

Meine klare Antwort an meinen Kunden war:

„Du lebst Vielfalt. Ganz selbstverständlich. Und das spürt jeder, der für oder mit euch arbeitet. Warum also etwas inszenieren, was längst Realität ist?“

Neutralität als Unternehmer heißt nicht Gleichgültigkeit.

Es heißt, Verantwortung für das eigene Haus zu übernehmen – nicht für jeden Diskurs, der von außen an dich herangetragen wird.

Was Generation Z heute fordert – und was Führung leisten kann

Viele junge Menschen wachsen in einer hochpolitisierten Welt auf. Ihre digitale Sozialisation prägt ihre Haltung:

Positionierung ≠ Privatsache, sondern Erwartung an Organisationen.

Das ist weder falsch noch schlecht – aber auch kein Automatismus.

Nicht jede Firma muss zur Bühne für gesellschaftliche Bewegungen werden.

Gerade nicht, wenn intern bereits ein respektvolles, inklusives Miteinander gelebt wird.

💡 Führung im gesellschaftlichen Wandel heißt:

 

  • zuhören, was Mitarbeitende bewegt

  • entscheiden, was betriebsrelevant ist

  • Rahmen setzen, nicht Stimmungen folgen

 

Der schmale Grat zwischen Position und Polarisierung

Was viele unterschätzen:

Je sichtbarer ein Thema gemacht wird, desto größer die Chance auf Polarisierung.

Das meint nicht, dass man sich wegducken soll.

Aber es bedeutet: Führung heißt dosieren, abwägen, einordnen.

Denn Druck erzeugt Gegendruck.
Und moralische Überhöhung führt oft zu Abwehr, nicht zu Erkenntnis.

In vielen Firmen läuft das Miteinander problemlos. Unterschiedliche Menschen arbeiten täglich erfolgreich zusammen.

Erst wenn ein Thema durch Aktionen oder öffentliche Statements ins Rampenlicht gerückt wird, entstehen Konflikte, die vorher nicht existierten.

Handlungsempfehlung für Unternehmer:innen

Wenn du Führungskraft im Mittelstand bist, kennst du wahrscheinlich das Spannungsfeld:

  • Willst du offen und modern auftreten

  • Ohne dich instrumentalisieren zu lassen

  • Und ohne intern unnötige Lagerbildung zu riskieren

Hier ein klarer Fahrplan für deine Positionierung:

1. Erkenne an, dass junge Menschen andere Kommunikationsmuster haben.

Aber das heißt nicht, dass du alles übernehmen musst.

2. Mach sichtbar, was du lebst.

Vielfalt ist kein Projekt, sondern Kultur. Wenn sie spürbar ist – reicht das.

3. Reagiere nur, wenn es im Unternehmen tatsächlich Konflikte gibt.

Dann ist Führung gefragt – nicht wegen Druck von außen, sondern wegen der Arbeitsfähigkeit im Innern.

4. Vermeide symbolische Aktionen, wenn sie nicht verankert sind.

Das wirkt schnell unehrlich – und erreicht das Gegenteil.

Fazit: Normalität ist oft die beste Haltung

Neutralität als Unternehmer bedeutet nicht Gleichgültigkeit.

Es bedeutet, das Selbstverständliche nicht künstlich zu überhöhen.

Wenn du bereits eine vielfältige, wertschätzende Kultur lebst – zeig sie im Alltag, nicht im Slogan.

Die Generation Z darf bei dir erleben, wie normal ein respektvolles Miteinander sein kann.

Denn was du täglich lebst, spricht lauter als jedes Statement.