Kündigung vermeiden: Dr. John Kettler im Gespräch mit einer Mitarbeiterin über Mitarbeiterbindung im Mittelstand

Kündigung vermeiden: Was Chefs selten hören aber wissen müssen

Es passiert oft schleichend: Ein geschätzter Mitarbeiter kündigt und für die Führungskraft kommt es wie aus heiterem Himmel. Die Wahrheit? Selten ist es wirklich „plötzlich“. Meist gab es schon lange vorher leise Signale, subtile Verhaltensänderungen und unausgesprochene Unzufriedenheit. Genau hier liegt die Herausforderung: Viele Chefs hören diese Signale nicht oder wollen sie nicht hören. Wer jedoch diese Warnzeichen früh erkennt, kann Kündigung vermeiden und wertvolle Mitarbeiter langfristig binden.

In diesem Artikel erfahren Sie, welche Botschaften Mitarbeiter selten direkt aussprechen, welche Fehler Führungskräfte unbewusst machen und wie Sie eine Arbeitsumgebung schaffen, in der Kündigungen die Ausnahme bleiben.

Das Unsichtbare sehen bevor es sichtbar wird

Mitarbeiter kündigen nicht von heute auf morgen. Oft ziehen sie sich innerlich schon Monate vor dem offiziellen Austritt zurück. Dieses „Quiet Quitting“ beginnt mit kleinen Dingen: weniger Beteiligung in Meetings, spürbare Zurückhaltung bei Projekten, eine neue emotionale Distanz zum Team.

Warum Chefs es oft übersehen:

  • Fokus auf messbare Ergebnisse statt auf menschliche Signale

  • Annahme, dass keine Beschwerden = Zufriedenheit bedeutet

  • Überlastung im Tagesgeschäft

Viele Führungskräfte arbeiten so stark im „Feuerlöscher-Modus“, dass sie nur auf Probleme reagieren, die ihnen ins Gesicht springen. Die leiseren, aber oft entscheidenderen Warnsignale gehen unter.

Praxis-Tipp: Führen Sie regelmäßige, kurze Check-ins durch, auch wenn es scheinbar keinen Anlass gibt. Nicht nur Projektstatus abfragen, sondern auch: „Wie geht’s dir wirklich mit deiner Arbeit?“ Ein ehrliches, offenes Gespräch kann Monate später über Bleiben oder Gehen entscheiden.

Der wahre Grund für Kündigungen und warum er selten im Exit-Gespräch fällt

In Austrittsinterviews wird oft über Gehalt oder Karrierechancen gesprochen. Doch Studien zeigen: Der Hauptgrund für Kündigungen ist die direkte Führungskraft nicht das Gehalt.

Mitarbeiter gehen, wenn sie sich:

  • nicht wertgeschätzt fühlen

  • nicht gehört werden

  • keine Perspektive sehen

Das Problem: Diese Kritik wird selten offen geäußert. Viele scheuen das direkte Gespräch, um Konflikte zu vermeiden besonders, wenn sie das Gefühl haben, es würde sowieso nichts ändern.

Praxis-Tipp: Holen Sie anonymes Feedback ein. Tools wie Officevibe, CultureAmp oder simple Online-Umfragen helfen, ehrliche Rückmeldungen zu bekommen bevor es zu spät ist. Und noch wichtiger: Kommunizieren Sie offen, was Sie aus dem Feedback lernen und umsetzen.

Leise Signale erkennen und ernst nehmen

Leistungseinbrüche oder häufige Krankmeldungen sind offensichtliche Warnsignale. Doch es gibt subtilere Hinweise:

  • Mitarbeiter nehmen seltener an freiwilligen Aktivitäten teil

  • Sie vermeiden informelle Gespräche

  • Ideen und Verbesserungsvorschläge bleiben aus

Psychologischer Hintergrund:

Diese Distanzierung ist oft ein Selbstschutzmechanismus, um emotionale Enttäuschungen zu vermeiden. Wer innerlich gekündigt hat, will Energie sparen und sich nicht mehr emotional binden.

Praxis-Tipp: Dokumentieren Sie diese Beobachtungen, sprechen Sie sie zeitnah an ohne Vorwurf, sondern mit echter Neugier. Zum Beispiel: „Mir ist aufgefallen, dass Sie sich in den letzten Wochen in Meetings weniger eingebracht haben. Liegt es an der aktuellen Projektsituation oder gibt es etwas, das ich tun kann?“

Die Macht der Wertschätzung

Laut einer Gallup-Studie fühlen sich 65 % der Beschäftigten in Deutschland nicht ausreichend wertgeschätzt. Das hat direkte Folgen für die Bindung ans Unternehmen.

Warum Wertschätzung wirkt:

  • Sie erfüllt das Grundbedürfnis nach Anerkennung

  • Sie steigert intrinsische Motivation

  • Sie schafft emotionale Bindung

Und das Beste: Wertschätzung kostet nichts außer Aufmerksamkeit.

So geht’s:

  • Loben Sie konkret („Deine Präsentation gestern hat den Kunden wirklich überzeugt, weil…“) statt allgemein („Gute Arbeit“).

  • Zeigen Sie Interesse an den persönlichen Zielen Ihrer Mitarbeiter.

  • Machen Sie Erfolge sichtbar auch intern im Team.

Ein Beispiel aus der Praxis: Eine IT-Leiterin begann, in jedem Montagsmeeting eine „Erfolgsgeschichte der Woche“ vorzustellen. Die Stimmung im Team verbesserte sich innerhalb weniger Wochen und die Fluktuation sank.

Perspektiven schaffen statt Talente ziehen zu lassen

Viele Kündigungen sind nicht Ausdruck von Frust, sondern das Ergebnis fehlender Entwicklungsmöglichkeiten. Gerade im Mittelstand gibt es oft keine klaren Karrierepfade.

Lösung:

  • Entwicklungsgespräche mindestens einmal pro Jahr

  • Individuelle Weiterbildungspfade (Fach- oder Führungslaufbahn)

  • Job Enrichment: Aufgaben erweitern, die Fähigkeiten fordern

Beispiel: Ein technischer Mitarbeiter erhält Verantwortung für die Einführung eines neuen Tools ohne gleich Teamleiter werden zu müssen. Das steigert Bindung, Motivation und Sichtbarkeit im Unternehmen.

Offene Kommunikation auch wenn’s unangenehm wird

Eine Kultur, in der Probleme offen angesprochen werden können, reduziert das Risiko von Kündigungen massiv. Doch dafür müssen Führungskräfte Vorbilder sein.

So schaffen Sie psychologische Sicherheit:

  • Fehler zugeben und zeigen, wie man daraus lernt

  • Kritik annehmen, ohne defensiv zu reagieren

  • Auch unbequeme Themen (Workload, Konflikte) aktiv ansprechen

Praxis-Tipp: Etablieren Sie „offene Sprechstunden“ oder ein monatliches Feedback-Meeting ohne Agenda, nur für Themen, die den Mitarbeitern wichtig sind.

Individuelle Bedürfnisse kennen nicht nur Jobrollen

Nicht jeder Mitarbeiter will das Gleiche. Manche suchen Stabilität, andere Herausforderungen, wieder andere Work-Life-Balance.

Führungskräfte-Fehler:

Alle über denselben Kamm scheren.

Besser: Persönlichkeits- und Motivationsprofile nutzen (z. B. Reiss Motivation Profile), um gezielt auf individuelle Treiber einzugehen. Das schafft passgenaue Arbeitsbedingungen und erhöht die Bindung.

Die Kosten des Wegsehens

Eine einzelne Kündigung kostet, je nach Position, zwischen 50 % und 200 % des Jahresgehalts. Rekrutierung, Einarbeitung und Produktivitätsverlust schlagen massiv zu Buche.

Noch teurer: der Verlust von Wissen, Kundenkontakten und Teamdynamik. Jedes „Wir hätten es kommen sehen müssen“ ist ein Hinweis darauf, dass präventives Handeln gefehlt hat.

Fazit: Kündigung vermeiden heißt zuhören lernen

Die meisten Kündigungen lassen sich nicht mit einem spontanen Gegenangebot verhindern. Wer zu diesem Zeitpunkt überrascht wird, hat die eigentliche Arbeit das frühzeitige Zuhören verpasst.

Kündigung vermeiden bedeutet, ständig präsent zu sein: im Gespräch, in der Wahrnehmung, in der Anerkennung. Wer als Chef lernt, die leisen Signale zu hören und darauf zu reagieren, spart nicht nur die hohen Kosten der Fluktuation, sondern gewinnt loyale, engagierte Teams, die bleiben wollen.

 


 

📌 Nächstes To-do für dich:

Wähle diese Woche einen Mitarbeiter aus, den Du seit Monaten nicht im 1:1 gesprochen hast und starte mit einer simplen Frage:

„Was würde deine Arbeit für dich noch besser machen?“

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