 
															Im Unternehmen wird viel entschieden. Meetings, Strategierunden, Abstimmungen. Auf den ersten Blick: alles in Bewegung. Und doch spürt man es dass da Projekte, Themen oder Entscheidungen gibt, die schon viel zu lange aufgeschoben werden. Jeder weiß, sie sind wichtig. Sie stehen ganz oben auf der Liste. Und bleiben dort.
Willkommen in der Realität der Prokrastination im Unternehmen. Einem unsichtbaren Kostenfaktor, den viele unterschätzen.
Prokrastination im Business-Kontext sieht nicht aus wie Faulheit. Sie trägt keine Jogginghose und isst keine Chips auf dem Sofa. Sie ist top gestylt. Sie spricht von „strategischem Timing“, „Abwägung aller Perspektiven“ und „noch fehlenden Informationen“.
Sie tarnt sich als Professionalität ist, aber in Wahrheit ein lähmender Mechanismus, der Entscheidungen verhindert und Energie frisst.
Typische Erscheinungsformen sind:
Entscheidungen, bei denen man „erst mal die Stimmung abwarten“ will
To-Dos, die sich in Präsentationen über Monate hinwegziehen immer auf Folie 9
Führungskräfte, die lieber Meetings abhalten als Entscheidungen treffen
Das Resultat: Stillstand in Bewegung.
Es wäre zu einfach, hier mit dem moralischen Zeigefinger zu kommen. Denn: Prokrastination hat Gründe. Gute Gründe sogar.
Unsicherheit: Wer eine Entscheidung trifft, macht sich angreifbar.
Verlustangst: Jede Entscheidung bedeutet auch: sich gegen Alternativen zu entscheiden.
Perfektionismus: Wenn alles „rund“ sein soll, wird oft nie etwas „fertig“.
Politische Dynamik: In komplexen Organisationen gibt es interne Spiele und wer entscheidet, muss Stellung beziehen.
Emotionale Verstrickung: Besonders in Familienunternehmen ist eine Entscheidung oft auch eine persönliche Aussage.
Die bittere Wahrheit: Was du duldest, wird zum Standard.
Nicht, weil deine Leute nicht können, sondern weil sie sich an das anpassen, was du als Führung zulässt.
Entscheidungen aufzuschieben ist kein „kleines Übel“. Es zieht einen ganzen Rattenschwanz an Folgen nach sich:
Vertrauen der Mitarbeitenden: Wer immer wieder Entscheidungen aufschiebt, sendet Unsicherheit aus.
Motivation der Teams: Wenn nichts vorangeht, sinkt der Drive.
Position am Markt: Während du wartest, handeln andere.
Wertschöpfung: Zeit ist Geld. Verzögerung kostet bares Kapital.
Und am schlimmsten: Irgendwann wird die Entscheidung dir abgenommen von Kunden, vom Markt oder durch äußere Umstände.
Ein Praxisbeispiel: Ein Maschinenbauer aus NRW zögerte über ein Jahr mit der Einführung eines neuen CRM-Systems. Währenddessen setzte der Wettbewerb längst digitale Vertriebskanäle auf. Als der eigene Rollout kam, war der Marktanteil bereits weg. Kostenpunkt: mehrere Millionen Euro.
Wissenschaftliche Studien zeigen: Menschen schieben Dinge nicht auf, weil sie faul sind, sondern weil ihr Belohnungssystem im Gehirn kurzfristige Sicherheit höher bewertet als langfristigen Erfolg.
Übertragen auf Unternehmen bedeutet das:
Kurzfristig fühlt es sich besser an, noch „ein Meeting mehr“ einzuberufen.
Langfristig verliert man damit Geschwindigkeit und Vertrauen.
Führungskräfte müssen dieses Muster durchbrechen nicht durch Druck, sondern durch Klarheit.
Gerade im Mittelstand begegnet mir Prokrastination in drei immer gleichen Formen:
Der nie gestartete Strategieprozess
Jahrelang wird über eine Digitalstrategie gesprochen. Es gibt Workshops, PowerPoint-Folien, schöne Überschriften. Aber keine echte Umsetzung.
Die verschobene Nachfolge
Der Senior-Chef weiß, dass er in den nächsten Jahren abgeben muss. Doch jedes Gespräch über Nachfolge wird „auf nach der nächsten Saison“ vertagt. Das Unternehmen verliert wertvolle Zeit und Talente wandern ab.
Die Innovationsblockade
Teams wissen, dass ein Produkt am Markt überholt ist. Aber statt Neues zu entwickeln, wird das Alte immer wieder „optimiert“. Der Markt urteilt am Ende härter als jede interne Diskussion.
Diese Beispiele zeigen: Aufschieben ist kein Einzelfall, sondern ein systemisches Risiko.
Neben den offensichtlichen Verzögerungen entstehen versteckte Kosten:
Talente ziehen weiter – gerade junge, ambitionierte Mitarbeitende verlieren schnell die Geduld, wenn sie ständig ausgebremst werden.
Kunden verlieren Vertrauen – wer bei Projekten, Angeboten oder Reklamationen zu lange braucht, verliert Aufträge.
Führung verliert Autorität – wenn Chefs sich hinter Meetings verstecken, merken alle: Entscheidungen werden gemieden.
Innovation verliert Anschluss – zu spätes Handeln bedeutet, Chancen am Markt anderen zu überlassen.
Eine Studie von Harvard Business Review zeigt: Unternehmen, die Entscheidungen schneller treffen, erzielen im Schnitt 20–30 % höhere Umsätze in Wachstumsbranchen nicht, weil jede Entscheidung richtig ist, sondern weil sie handeln.
Prokrastination im Unternehmen macht sich selten durch offene Aussagen bemerkbar. Sie zeigt sich in Mustern:
Projekte werden immer wieder „neu bewertet“.
Führungskräfte fordern mehr Daten, statt eine Richtung vorzugeben.
Mitarbeitende fragen nach „Prioritäten“, weil sie selbst keine Klarheit haben.
Entscheidungsmeetings enden mit To-dos statt mit klaren Beschlüssen.
Wer diese Muster früh erkennt, kann gegensteuern bevor Motivation und Energie im Team versanden.
Wie also raus aus der Aufschieberitis im Anzug? Hier ein Handlungsplan für Mittelstands-Chefs:
Kleine Entscheidungen groß nehmen
Statt ewig auf die „große Lösung“ zu warten, sofort kleine, konkrete Entscheidungen treffen. Sie setzen Energie frei.
Entscheidungsfristen einführen
Projekte dürfen nicht endlos reifen. Setzen Sie klare Deadlines und akzeptieren Sie, dass Perfektion Illusion ist.
Verantwortung sichtbar zuordnen
Klare Rollen und Verantwortlichkeiten verhindern, dass Aufgaben zwischen Abteilungen „liegen bleiben“.
Konflikte offen adressieren
Viele Entscheidungen scheitern nicht an der Sache, sondern an unausgesprochenen Spannungen. Chefs müssen diese Gespräche führen nicht vertagen.
Externe Sparringspartner nutzen
Oft braucht es einen neutralen Blick von außen, um eingefahrene Schleifen zu durchbrechen. Externe Berater oder Mentoren können den Spiegel vorhalten.
Gönn dir heute Abend 15 Minuten, nur du und dein Stift:
Welche Aufgabe schiebe ich gerade auf, obwohl ich weiß, dass sie überfällig ist?
Was fürchte ich konkret, wenn ich sie jetzt angehe?
Was würde passieren, wenn ich morgen früh einfach damit beginne ohne weitere Absicherung?
Schreib es auf ! Du wirst überrascht sein, wie oft die Hürde im Kopf größer ist als in der Realität.
Für Geschäftsführer:innen und Gesellschafter im Mittelstand gilt: Prokrastination ist nicht nur ein Zeitproblem, sondern ein Führungsproblem.
Setze klare Prioritäten: Wenn alles gleich wichtig ist, entscheidet niemand.
Benutze eine einfache Entscheidungslogik: Lieber 80 % richtig und schnell als 100 % perfekt und nie.
Schaffe ein Klima der psychologischen Sicherheit: Mitarbeitende sollen Entscheidungen treffen dürfen, ohne Angst vor Strafe.
Sprich Tabus offen an: Viele Entscheidungen scheitern nicht an Sachfragen, sondern an unausgesprochenen Konflikten.
Führe kurze Entscheidungsrunden ein: Statt lange Meetings, zehn Minuten Fokus, eine Entscheidung, fertig.
Prokrastination im Unternehmen ist kein Randthema. Sie entscheidet über Wachstum, Motivation und Zukunftsfähigkeit.
Die meisten Probleme lösen sich nicht durch weiteres Warten, sondern durch klares Handeln. Und die größte Führungskompetenz ist nicht, alle Eventualitäten abzusichern, sondern Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen.
Ein Gedanke, eine Idee oder ein Aha-Moment, direkt aus der Praxis.