 
															Es gibt diese Sätze, die man nicht vergisst.
„Ich will nicht mehr.“
„Ich weiß nicht, wie lange ich das noch tragen kann.“
„Ohne mich läuft hier nichts und genau das ist das Problem.“
Ich habe sie unzählige Male gehört, von Unternehmern im deutschen Mittelstand, die ihre Firmen über Jahrzehnte aufgebaut haben. Sie sind gestandene Persönlichkeiten, Macher, die gelernt haben, durchzuhalten. Menschen, die Verantwortung nicht scheuen, sondern suchen. Und trotzdem stehen sie irgendwann an einem Punkt, an dem es nicht mehr weitergeht.
Dieser Punkt hat viele Namen: Krise, Burnout, Erschöpfung, Überlastung. Ich nenne es oft die Unternehmerkrise im Mittelstand.
Die meisten dieser Unternehmer haben sich jahrelang nichts anmerken lassen. Nach außen wirken sie stabil, erfolgreich, diszipliniert. Im Inneren jedoch kreist der Kopf.
📉 Die Medien reden vom wirtschaftlichen Abschwung.
📈 Gleichzeitig steigen die Anforderungen: E-Rechnung, Bürokratie, Fachkräftemangel, Digitalisierung.
🧠 Und dazwischen die Fragen, die keiner gern laut ausspricht:
– Was, wenn ich nicht mehr kann?
– Was, wenn meine Kinder die Firma nicht übernehmen wollen?
– Was, wenn ich verkaufen muss, aber keinen Käufer finde?
In Wahrheit beginnt die Krise selten von heute auf morgen. Sie wächst leise, wie ein Wasserstand, der unbemerkt steigt, bis er plötzlich überläuft.
In Gesprächen kommt irgendwann der Augenblick, an dem die Maske fällt.
„Ich bin müde.“
„Ich weiß, dass ich so nicht weitermachen kann.“
„Ich habe nie über meine Nachfolge gesprochen und jetzt drängt die Zeit.“
Dieser Moment ist schmerzhaft. Er fühlt sich an wie eine Niederlage. Doch in Wahrheit ist er der Beginn von Veränderung. Denn erst, wenn das Ungesagte ausgesprochen wird, kann Bewegung entstehen.
Veränderung klingt in Social-Media-Zitaten leicht: „Alles beginnt mit dem ersten Schritt.“ Doch wer jemals in einer echten Unternehmerkrise gesteckt hat, weiß: Am Anfang fühlt es sich nicht besser an. Sondern schwerer.
Denn Veränderung bedeutet, Dinge anzuschauen, die man lange verdrängt hat.
– Strukturen, die Jahrzehnte funktioniert haben, plötzlich zu hinterfragen.
– Verantwortung neu zu denken und auch abzugeben.
– Gewohnheiten loszulassen, die Sicherheit gaben, aber nicht mehr tragen.
Es ist wie beim Aufräumen eines alten Dachbodens: Erst wird alles chaotisch, bevor Ordnung entstehen kann.
Wenn man die Geschichten nebeneinanderlegt, wiederholen sich die Muster:
Wirtschaftlicher Druck: Märkte verändern sich schneller als Strategien. Plötzlich ist das, was jahrzehntelang funktioniert hat, nicht mehr tragfähig.
Familiäre Konflikte: Kinder wollen andere Wege gehen, Partner sind uneins, Erwartungen prallen aufeinander.
Eigene Erschöpfung: Schlaflose Nächte, gesundheitliche Warnsignale, das Gefühl, keine Kraft mehr zu haben.
Stillstand in der Firma: Projekte ziehen sich, Entscheidungen werden vertagt, das Team verliert Energie.
Diese Faktoren greifen ineinander. Was mit einem kleinen Riss beginnt, wird zu einem Netz aus Spannungen.
Es gibt eine einfache Antwort: Weil sie es gewohnt sind, stark zu sein.
– Sie tragen Verantwortung für Mitarbeiter und Familie.
– Sie haben gelernt, Probleme selbst zu lösen.
– Sie fürchten, Schwäche vor sich selbst, vor anderen zu zeigen.
Und tief in sich wissen sie: Die echten Themen stehen nicht in Excel-Tabellen. Es sind keine Probleme, die man mit einer neuen Software löst. Es sind Fragen von Sinn, Vertrauen, Zukunft.
In den ersten Wochen der Begleitung höre ich oft dieselbe Frage:
„Sollte ich mich nicht um etwas anderes kümmern? Ist das hier wirklich so wichtig?“
Meine Antwort: „Genau deshalb bist du hier. Weil das, was du bisher getan hast, dich an diesen Punkt gebracht hat. Und weil du spürst, dass es so nicht weitergeht. Wenn du wirklich etwas verändern willst, musst du jetzt anders denken und handeln.“
Diese Gespräche sind nicht immer angenehm. Manchmal gibt es Tränen, manchmal Schweigen. Doch genau dort liegt der Schlüssel.
Und dann passiert es.
Plötzlich klärt sich die Sicht.
Wie ein Regenschauer, der die trübe Scheibe reinigt. Wie ein Windstoß, der Nebel vertreibt.
Gespräche mit der Familie gelingen auf einmal, weil sie ehrlich geführt werden.
Neue Wege für die Nachfolge tun sich auf, ob intern oder extern.
Entscheidungen, die jahrelang aufgeschoben wurden, werden plötzlich getroffen.
Und die Unternehmer spüren: Der Druck fällt ab. Nicht, weil die Probleme verschwunden sind. Sondern weil Klarheit da ist.
Ein Inhaber aus Süddeutschland, Mitte 60, stand genau an diesem Punkt. 40 Jahre lang hatte er seine Firma geführt, 80 Mitarbeitende, solide Aufträge, ein stabiles Geschäft. Doch innerlich war er müde.
Er sprach nie über Nachfolge. Wollte seine Kinder nicht „belasten“. Tat nach außen so, als sei alles im Lot. Doch innerlich hatte er längst abgeschlossen.
Als wir ins Gespräch kamen, dauerte es Wochen, bis er den Satz aussprach: „Ich will nicht mehr.“
Erst danach konnte Bewegung entstehen. Er begann, mit seiner Familie offen zu reden. Zum ersten Mal hörte er, dass seine Tochter sich durchaus vorstellen konnte, einzusteigen aber nur, wenn klar wäre, welche Rolle sie wirklich hätte.
Aus dem Stillstand wurde ein Prozess. Nicht einfach, nicht schmerzfrei, aber ehrlich. Heute führt die Tochter das Unternehmen und der Vater hat gelernt, loszulassen.
Die Unternehmerkrise im Mittelstand ist kein Zeichen von Schwäche. Sie ist ein Signal. Sie zeigt, dass etwas Neues ansteht. Dass die alten Antworten nicht mehr reichen.
Viele, die ich begleitet habe, sagen rückblickend: „Es war die schwerste Zeit und die wertvollste.“ Weil sie gezwungen hat, innezuhalten, Fragen zu stellen und Entscheidungen zu treffen, die sie sonst weiter verschoben hätten.
Manchmal denke ich, die größte Veränderung geschieht nicht im Lärm, sondern in der Stille.
Wenn ein Unternehmer nachts wach liegt und spürt: So geht es nicht weiter.
Wenn er im Büro sitzt, die Zahlen vor sich hat und weiß, dass die eigentliche Frage eine andere ist.
Wenn er merkt, dass der Druck nicht mehr von außen kommt, sondern von innen.
Diese Momente sind unbequem. Sie tun weh. Und doch sind sie der Beginn.
Vielleicht ist es wie auf See.
Der Himmel verdunkelt sich, Wellen schlagen, das Boot kämpft. Es scheint, als würde alles zerbrechen.
Und doch nach dem Sturm wird die Luft klar. Der Horizont sichtbar. Die Richtung erkennbar.
So ist es auch im Unternehmen.
Manchmal wird es erst schlimmer.
Dann klarer.
Und schließlich besser.
Ein Gedanke, eine Idee oder ein Aha-Moment, direkt aus der Praxis.